Neu in der Linux-Welt? Dann versuch doch mal Distribution-XY für Gaming. Oder Distribution XZ für Programmieren und Hacken. Oder Linux Sonstewas für Content Creation wie Video und Audio. Doch ist an den gängigen Empfehlungen der Linux-Community in den Foren und Videoplattformen dieser Welt etwas dran?
Inhaltsverzeichnis
Linux für bestimmte Anwendungsgebiete
Wenn Mensche wie ich von „Linux für Kreative“ sprechen, dann ist das in der Regel, weil Menschen explizit danach fragen. Da es eine Flut an Linux-Distributionen gibt, ist es nur logisch, dass die auch verschiedene Interessen oder Anwendungsgebiete abdecken sollen.
Tatsächlich hat jedes Linux irgendwo eine Nische, die es bedient.
„Basis-Linux“, „Alltags-Linux“ und „Spezial-Linux“ (Audio, Video, Gaming, 3D …)
Es gibt die Altehrwürdigigen und großen „Basis-Distributionen“, etwa Debian, Fedora bzw. RHEL, Arch, Slackware, Suse oder Gentoo. Diese Distributionen gibt es teils seit dem ersten Linux-Kernel und alle haben ihre Herangehensweise, Grundprogramme und Voreinstellungen.
Darauf aufbauend gibt es Distributionen, die sich einer bestimmten Aufgabe zugewandt haben oder ein bestimmte Anforderungen erfüllen wollen. So entstand Ubuntu auf Basis von Debian, möchte aber anwendungsfreundlich sein – und ist mit der Grund, warum Linux als Desktop-Betriebssystem so erfolgreich und einfach zu bedienen ist. Ohne die Vorarbeit von Ubuntu wären wir vermutlich lange nicht am jetzigen Punkt. Ubuntu setzt auf das Gnome Desktop Environment, daher wurden „Fan-Unterdistributionen“ entwickelt, etwa Xubuntu mit XFCE Desktop, Lubuntu mit LXDE Desktop oder Kubuntu mit KDE.
Bei Distributionen wie Ubuntu handelt es sich in meinen Augen um „Alltagsdistributionen“. Surfen, Mailen, Videos schauen, Fotos verwalten – geht problemlos.
Unzählige Linux-Distributionen
Linux hat eine bewegte Vergangenheit. Allein dieses Bild ist krass.
Viele Distributionen wollten Standards (er)schaffen, einige haben es geschafft. So hat Linux zum Beispiel in Sachen Audio-Unterbau mittlerweile in seichte Gewässer gefunden. „Früher“ (2017 und früher) musste man hier auch noch Entscheidungen treffen und für professionelles Audio noch aus verschiedenen Standards wählen. Etabliert sind mittlerweile ALSA + Pulseaudio + JACK für alles, was mit Pro-Audio zu tun hat – aber das ist auch schon wieder im Wandel und wird über kurz oder lang vermutlich von Pipewire abgelöst. Der Weg zum einheitlichen Standard ist lang – und wird von vielen Linux-Usern gar nicht so gern gesehen.
Über die Anzahl an Möglichkeiten zur Einflussnahme haben sich Spezialdistributionen herausgebildet. Etwa Multimedia-Distributionen wie Ubuntu Studio oder Fedora Jam oder Gaming-Distributionen wie Bazzite oder Pop_OS!, wobei letzteres eigentlich gar keinen Anspruch an Gaming mitbrachte. Das sogenannte „Halo“ aka SteamDeckOS ist auch ein „Gaming-Arch“. Dabei werden zum Beispiel für das Einsatzgebiet gedachte Grundprogramme vorinstalliert, aber auch Konfigurationen bereits zur Installation gemacht oder sogar Modifikationen am Kernel gemacht.
Das alles ist mittlerweile für verschiedene User noch relevant, für die breite Masse ist das aber mindestens zu hinterfragen.
Denn meine Messungen in Sachen Audio haben ergeben, dass die Audiolatenz (Roundtrip) zwischen verschiedenen Kernel-Varianten (RT, Zen, Vanilla) keinen Unterschied mehr macht. Ebenso hat der Youtuber „Linux Experiment“ Gaming-Distributionen auf mögliche FPS-steigerung getestet. Ohne messbare Vorteile für die ausgemachten Gaming-Distros Bazzite, Nobara, Chimaira und Co.
Das „richtige“ Linux
Was schließen wir draus?
Spezielle Distributionen können Sinn ergeben.
Müssen aber nicht.
Das tolle an Linux ist, dass jede:r eine eigene, perfekte Distribution erstellen kann. Nichts anderes sind die Spezial-Distros. Und wie sich an den Messungen herausstellt, ist das alles mit den neueren Kernels (6+) überholt.
Die Einstellungen sind in der Regel schnell selbst gemacht und zerreißen kein System, weil auf Kernel-Ebene eigentlich nichts gemacht werden muss. Auch sind Programme dank der effektiven Kommandozeile (aka Terminal) in einem Rutsch installiert.
Gerade Distrohopper, also Menschen, die ihre Distribution schnell und gerne wechseln, haben gute Übung darin. Und auch, wer einfach nur gern mal schnuppert und testet … hüstel ich hüstel … hat ein Linux-System in 30 Minuten fertig eingerichtet. Je nach Internetanbindung.
Und die selbst gepackte Distribution ist auch nicht mit „sinnlosen“ Programmen vollgestopft, die man wie bei einer frischen Windows-Installation erst einmal alle löschen muss. Da muss auch Debian noch lernen.
So sieht zum Beispiel mein Linux Desktop aus, aktuell mit Debian (Sid) und Gnome 47. Einmal mit und einmal ohne „Dash To Panel“ Addon:
Dein Linux
Es ist auf dem Papier nicht wichtig, ob bei dir Debian, Gentoo oder Nobara dran steht. Wichtig ist, dass du dein System einrichten kannst.
Du musst dich wohl fühlen.
Schafft das nur eine fertige Spezial-Distro, dann ist das ok.
Jede Distribution ist genau genommen nur eine Ansammlung von Programmen, die andere Menschen vorausgewählt haben.
Schnapp dir eine Basis-Distro, zum Beispiel Debian, und pack die gewünschten Programme und Einstellungen einfach selbst drauf. So lernst du das System nicht nur besser kennen, sondern es fehlt auch „sinnlose“, vorinstallierte Software. Aber auch mit Mint hast du einen soliden Unterbau.
Ein Tipp aus langjähriger Erfahrung: Nutze Distributionen, die viel Unterstützung erfahren und ein aktives Team (nicht Einzelpersonen) hat. „Kleine“ Distros verschwinden leider früher oder später oder bekommen spontan keine Updates mehr. Und das dann händisch zu übernehmen muss man wollen. Und lernen.
Viel wichtiger als die Distribution ist ohnehin das Desktop Environment: Gnome, KDE, Cinnamon, Openbox, Hyprland … der Tisch ist reich gedeckt. Was wählst du?
Sehr schön. Ist auch meine Meinung.
Natürlich ist es je nach Wahl der Distribution schwieriger oder einfacher, sich das so einzurichten, wie man mag. Nur ist es halt nicht so, dass es nicht geht. Es gibt ja auch kein Gaming-Windows, Programmier-Windows und Multimedia-Windows. Es gibt Windows und man richtet sich das ein.
Bei Linux gibt’s mehr Auswahl… die kann man nehmen… und dann Sachen rausschmeißen oder reinnehmen.