Reaper ist eine professionelle Crossplatform-DAW für Windows, macOS und seit geraumer Zeit auch offiziell für Linux – ganz ohne WINE. Besonderheiten sind der wohl größte Funktionsumfang am DAW-Markt und die enorme Anpassbarkeit der Funktionen und Optik – und der geringe Preis. Allerdings hat Reaper auch ein Problem mit der Übersicht in den Menüs. Wie gut ist die Performance unter Linux?
Inhaltsverzeichnis
Was ist Reaper?
Reaper ist wohl eine der bekanntesten und meist genutzten DAWs am Markt. Genaue Zahlen gibt es nicht, da kein Hersteller echte Nutzungszahlen veröffentlicht. Gemessen an Umfragen, Eindrücken aus Foren und Erfahrungswerten aus der „Szene“ ist es aber sehr verbreitet.
Die Abkürzung steht eigentlich für „Rapid Environment for Audio Production, Engineering, and Recording„. Reaper ist genau das: Eine schnelle Umgebung für Audio-Dinge, kurz eine DAW. Und seit einiger Zeit gibt es Reaper für Linux.
Ist Reaper kostenlos?
Es hält sich immer noch hartnäckig das Gerücht, Reaper sei kostenlos.
Das stimmt nicht.
Reaper ist weder Open Source, noch (legal) kostenfrei nutzbar. Eine Lizenz für 2 Major-Versionen kostet 60 USD, wer damit mehr als 20.000 USD im Jahr verdient, ist angehalten das gleiche Programm für 225 USD zu kaufen. Vorher kann Reaper 60 Tage ohne Einschränkungen genutzt werden – und danach noch unendlich weiter, wenn man sich noch nicht sicher ist.
Cockos macht selbst keine Werbung, die Entwicklung wird von einer handvoll Menschen gemacht. Das hält die Kosten gering. Außerdem hat Justin Frankel vorher Winamp entwickelt und an AOL verkauft – ich vermute, davon sind auch noch ein paar Dollar übrig.
Ganz falsch ist es aber auch nicht: Reaper war bis Version 0.99 Freeware. Allerdings ist diese Version aktuell weder leicht aufzufinden, noch mehr als eine Spielerei, verglichen mit den Funktionen der aktuellen Version.
Besonderheiten von Reaper
Alle DAWs haben ihre Vor- und Nachteile und entsprechend angepeilte Gruppe von Nutzenden. Reaper richtet sich an alle, die ihr Werkzeug lieber an die eigene Vorliebe anpassen, statt sich nach dem Gusto des Entwicklerstudios zu richten. Es wird daher auch gerne mal „KDE der DAWs“ genannt. Nahezu alle Funktionen sind sogenannte Actions, vom Zoom über Audio zerschneiden bis zum Export. Diese lassen sich im Action Menu frei auf Tastenkombinationen legen – auch in Makro-Abfolgen kombiniert.
Reaper arbeitet nicht mit fest definierten Werkzeugen, wie man sie beispielsweise aus Ardour, Pro Tools oder Samplitude kennt, sondern nutzt lediglich Maus und Tastatur. Je nach Position der Maus und einem oder mehreren optionalen Modifier Keys (Shift, STRG, Alt) werden verschiedene Aktionen ausgelöst.
Beispiel: Während am rechten Rand eine Audio- oder MIDI-Datei normal mit dem Mauszeiger in der länge verändert werden kann, wird mit dazu gehaltener Alt-Taste die Abspielgeschwindigkeit nebst Dateilänge verändert. Ein Click-and-Drag auf die Mitte eines Audio-Clips verschiebt diese im Editor, mit gehaltener Alt-Taste wird der Inhalt stattdessen zeitlich an vorhandener Position verschoben.
Die Bedienung ist generell extrem schnell, wenn man einmal die Arbeitsweise mit Maus und Tastatur in Kombination verinnerlicht hat – und wenn die wichtigen Funktionen noch auf eigenen Hotkeys liegen, legt es nochmal einen Zahn zu. Gerade die Bearbeitung von mehreren, markierten Spuren im Mixer und Editor ist wunderbar. Effektplugins, Sends, Fader gleichzeitig – erlaubt ist, was gefällt.
Audio, MIDI, VCA und Co: Spurentypen gibt es nicht
Und noch eine Besonderheit: Reaper kennt nur einen Spurentyp. Eine Spur ist eine Spur und kann alles werden und beinhalten: Audio, MIDI, BUSS, AUX, VCA, Folder … . Das erfordert etwas mehr Disziplin, hat man sich aber einmal daran gewöhnt, wundert man sich zumeist in anderen DAWs, warum das noch so rückständig in verschiedene Typen getrennt wird.
Schiebt man beispielsweise eine Spur „in“ eine andere, wird die „andere“ zur Ordnerspur, und damit auch zu einem Buss bzw. AUX. Wenn die Spur leer ist, wird hier die summierte Waveform angezeigt. Die sogenannten Folder Tracks kann man im Mixer gesammelt an einer Seite anzeigen lassen und so die Übersicht bei großen Projekten noch mehr steigern.
Optik + Themes
Die Elemente wie Editor und Mixer sowie frei belegbare Docks lassen sich frei im Hauptfenster platzieren oder in einem Extrafenster anzeigen. In Docks können beispielsweise eigene Action-Buttons, Datei-Explorer, MIDI-Pianoroll oder die Routing Matrix angezeigt werden. Letztere zählt wohl die den flexibelsten am Markt – durch die Bedienung mit der gedrückten Maustaste plus Modifier Keys ist man sogar schneller als in Ardour. Und es lassen sich gleich Sends und Receives an der Stelle einbauen.
Wem die grundlegende Optik nicht gefällt, kann aus einem gefühlt unendlichen Pool an Themes wählen. Dem Stash. Wirklich gute sind zwar selten, aber grundlegend kann jede:r das eigene Theme nach Lust und Laune erstellen. So kann Reaper 6 aussehen wie Reaper 5, 4, 3, 2 oder 1 (Grüße an das damalige Sony Vegas), aber auch ein analoges Mischpult, Pro Tools, Logic oder Cubase wurden nachgebaut. Oder ganz eigene Kreationen erdacht. Neben einer Reihe kostenloser Themes stehen auch einige Themes aus der Community zum Verkauf.
Schnelle Bugfixes + Updates
Bugfixes werden teils in wenigen Stunden veröffentlicht. Es vergeht eigentlich kein Monat, in dem nicht ein neues Update bereit steht. Große Neuerungen werden nicht als Verkaufsargument für eine kommende Version aufgespart, sondern einfach eingebaut, wenn es fertig ist.
Der Vorteil ist auch gleichzeitig ein Nachteil: Es muss immer wieder der Installer heruntergeladen und manuell installiert werden. Ein Repo wäre hier sicherlich sinnvoller, aber für die paar Linux-User ist das vermutlich zu viel des Guten.
Plugins, Synthesizer und mehr
Reaper „Linux“ bringt wie die Versionen für WIndows und macOS eine Reihe von vorinstallierten Plugins mit. Die sogenannten ReaPlugs decken grundlegende Funktionen ab – sehen dafür aber nicht all zu modern und shiny aus. Ich würde sie aber als funktionell und zweckdienlich beschreiben. EQ, Compressor, Limiter, Reverb, Delay, FFT EQ, Gate, Pitch Shifter, Surround Mixer, Tuner, Vocoder und mehr stehen als VST vorinstalliert bereit.
Dazu kommt das hauseigene Format JS, das am ehesten mit LADSPA (optisch) vergleichbar ist und meist keine echte GUI mitbringt, dafür aber etwas, das an die grafischen Fähigkeiten des Linux-Terminals erinnert. Einerseits kommen hierrüber Analyzer, die sich auch im Mixer und den Controls des Editors einblenden lassen, aber auch Fan-Projekte. Etwa wurde der FabFilter ProQ ziemlich gut nachgebaut – und ist für jeden kostenlos erhältlich.
Reaper unterstützt folgende Plugin-Formate:
- VST
- VST3
- AU (Mac)
- JS
- LV2
Damit steht dir die Welt offen, denn es gibt nahezu alle Plugins in mindestens einem dieser Formate. Vor allem freut es die Reaper Linux Gemeinde, dass es auch LV2-Support gibt, gegen den sich der Hersteller so lange gewehrt hat.
Übrigens: In Reaper kann im Gegensatz zu vielen anderen DAWs ein Plugin nicht nur auf Spuren gelegt werden, sondern auch auf einzelne Audio- und MIDI-Clips.
Addons
Durch die enorme Anpassbarkeit von Reaper (auch ohne offenen Quellcode) hat sich eine rege Community darum gebildet und veröffentlicht fleißig Addons für spezielle Anwendungsfälle.
Die besten Addons für Reaper sind für mich:
- PlayTime, ähnlich der Clip-Matrix von Ableton Live
- ReaLearn, erweitert die MIDI-Funktionalität enorm
- ReaPack, eine Art Repo-Manager für Addons, Scripte und Plugins
- SWS Extensions, Pflichtinstallation mit Werkzeugen für Reaper-Profis
- ReaMenus, sinnvoll strukturierte Menüs
ReaMenus sei allen ans Herz gelegt, die mit Reapers wirklich überfüllten Menüs in der Menüleiste oder Kontextbasiert via Rechtsklick überfordert sind. Zwar kannst du dir deine eigenen Menüs zusammenschieben, einfacher und gut strukturiert geht das über dieses Addon – am Ende nicht mehr als eine importierbares Template für den Menüeditor.
Performance unter Linux
Reaper nutze ich seit Version 2. Ich kenne das Programm also schon sehr lange und, wie ich meine, auch ziemlich gut. Damals hat es Logic und Pro Tools nach und nach ersetzt. Ich hatte es vor allem unter macOS (bzw. damals noch OSX) eingesetzt, weiß aber aus eigener Erfahrung, dass die Performance mit Windows in der Regel etwas besser als mit Mac war.
Meine ersten Aufnahmen und Produktionen habe ich mit Reaper 3 gemacht und es auch im professionellen Umfeld für (Film) Sound Design, Dialogschnitt und Komposition eingesetzt. Seit es Reaper für Linux gibt, habe ich auch damit die gleichen Aufgaben gemeistert – und für mich war es der Grund, letztendlich komplett auf Linux umzusteigen – davor war für Audio immer ein Win oder Mac-System in Reichweite. Dank Anbindung an ALSA, Pulseaudio und JACK ist das im professionellen Linux-Umfeld auch kein Problem, auch wenn ich Core-Audio grundlegend als die bessere Audio-Lösung empfinde.
Reaper ist bei mir absolut stabil, der Verbrauch an Systemressourcen ist so gering, dass es verglichen mit anderen Programmen schon fast lächerlich ist und wie ein Fehler bei der Anzeige wirkt. Reaper ist demnach in der Praxis auch für schwächere Systeme geeignet.
Die Installation erfolgt über eine .sh-Datei, die im Terminal ausgeführt werden muss. Das ist für Neulinge unter Linux etwas gewöhnungsbedürftig. Wer das noch nie gemacht hat: ./"reaper-datei"
und los geht’s. Statt reaper-datei inkl. der Anführungszeichen muss natürlich die aktuelle Installerdatei angegeben werden.
Fun Fact: Eigentlich sollte es nie eine Reaper Linux Version geben. Frankel mochte es lange nicht. Dann hat er es ausprobiert. Und arbeitet seit dem selbst damit. Und JACK. 😉
Fazit: Ist Reaper eine Profi-DAW für Linux?
Wer ernsthaft mit Linux Musik oder Sound Design machen möchte, kommt um eine DAW mit großem (oder passendem) Funktionsumfang nicht herum.
Wenn Ardour, Tracktion, Bitwig Studio oder andere Linux-DAWs nicht passen, schau dir unbedingt Reaper an. Oder schau es dir zu erst an, denn nicht ohne Grund setzen so viele Menschen aus der Audioszene (auch im Film- und Gamingbereich) auf Reaper. Auch Bandaufnahmen schafft es im Schlaf.
Reaper ist nicht Open Source. Laut Frankel, weil sie mit den wenigen Entwickelnden die Commits nicht sichten könnten und die Entwicklungsgeschwindigkeit darunter leiden würde. Durch die vielen offenen Schnittstellen fällt das „nicht Open Source“ aber wenig auf. Die Hürde zum Mitmachen ist sogar teils geringer als beispielsweise in Ardour (wenn es über Bug Reports hinaus geht), da man keine Programmiersprache lernen muss.
Die Installation nimmt unter 100 MB auf der Festplatte ein und es kann wahlweise auch vom USB-Stick gestartet werden.
Lass dich einfach nicht vom enormen Umfang abschrecken. Es gibt eine Tonne Videos bei Youtube für den Einstieg. Ein paar verlinke ich. Es lohnt sich! Reaper Linux ist identisch zu Reaper Windows und Reaper für macOS. Je nach System-Fonts sieht es bei dir an einigen Stellen anders aus.
Tolle Qualität der Artikel, da kommen manch Zeitungen Und „seriöse Seiten“ nicht heran. Weiter so!
Und Probs für das Nutzen von Buss statt Bus. Es gibt anscheinend noch Menschen, die das korrekt schreiben. 😉
Danke für die netten Worte!
Wobei die Frage ist, ob Buss wirklich korrekt ist, im Sinne von Bus ist falsch, oder ob es einfach zwei korrekte Schreibweisen gibt, von denen eine verbreiteter ist.
Ich war von Buss überrascht, hab mal recherchiert und mir scheint die Sache nicht so ganz geklärt.
Aber ansonsten stimme ich zu, schöner Artikel. 🙂
Ich bin mir da auch nicht so sicher. Erfahrungsgemäß wird international mehr „Buss“ geschrieben, in Deutschland mehr „Bus“. Am Ende ist es ja auch eigentlich egal. 😉
Danke für die netten Worte. 🙂