Linux ist ein tolles Betriebssystem für den Alltag mit „Surfen und Tippen“. Aber auch Audio-Recording, Mixing, Mastering und Producing von Alben ist schon lange kein Problem mehr mit Linux. Eine Einführung – von Einsteiger bis Profi.
Inhaltsverzeichnis
- Linux für Audio Engineers und Producer: Multimedia Distribution sinnvoll?
- Audio-Recording mit Linux – Infos für Umsteiger von Windows oder macOS
- JACK – die beste Audio-Schnittstelle?
- DAWs für Linux
- Effekt-Plugins für Linux
- Virtuelle Synthesizer für Linux
- Audio-Interfaces für Linux
- Echtzeit-Audio in Linux einrichten
- Audio- und MIDI-Recording: Der Anfang
- Lohnt sich Linux als Audio-System?
Du möchtest Songs aufnehmen, weißt aber nicht, ob Linux das auch kann? Natürlich! Ein- und Umsteiger von macOS und Windows stellen diese Frage aber zurecht, denn lange war es mit Linux nicht ganz so leicht und braucht auch heute noch ein paar zusätzliche Handgriffe. Doch mit dieser Anleitung hast du in 15 Minuten das Thema Audio-Recording mit Linux abgehakt und kannst wie gewohnt loslegen. Das beste: Du bestimmst über dein System – nicht anders herum.
Linux für Audio Engineers und Producer: Multimedia Distribution sinnvoll?
Viele stellen sich die Frage: Brauche ich eine Multimedia-Distribution wie Ubuntu Studio oder Fedora Jam?
Kurz: Nein.
Wirklich brauchen tust du sie nicht.
Es nimmt aber einige Arbeit ab.
Allerdings kommen mit den Distros auch viele Programme, die du vielleicht nie brauchen wirst. Am Ende ist eine Multimedia-Distro auch nur ein spezielles Linux, bei dem Einstellungen bereits getroffen sind und Programme vorinstalliert sind.
Wer sich bereits gut mit Linux auskennt, der hat die notwendigen Arbeiten in maximal einer Stunde (eher weniger) selbst erledigt und nur die Programme installiert, die auch wirklich genutzt werden. Vor allem kann man die lieb gewonnene Desktop-Umgebung weiter nutzen.
Eine Multimedia-Distribution lohnt sich vor allem, wenn Programmnamen nicht bekannt sind oder du dich selbst nicht an die Konfiguration nach Anleitungen traust. Doch ich versichere dir: So schwer ist es nicht.
Audio-Recording mit Linux – Infos für Umsteiger von Windows oder macOS
Grob gesagt funktioniert Audio-Recording mit Linux genau so wie mit Windows oder macOS. Es gibt aber ein paar Unterschiede auf dem Weg zum Ziel, die man kennen sollte. Zu erst der Unterbau bzw. die Audio-Schnittstelle.
Windows verwendet für Pro-Audio ASIO. macOS nutzt CoreAudio für Systemsounds und Pro-Audio.
Linux nutzt einen Mix aus ALSA und Pulseaudio für System- und Desktop-Sounds (aktuell wird Pulseaudio von Pipewire abgelöst) und JACK für Pro-Audio.
JACK – die beste Audio-Schnittstelle?
JACK hat Vor- und Nachteile.
Ein Nachteil: Das Audio-Programm muss explizit mit einer Schnittstelle zu JACK ausgestattet sein. Professionelle Tonprogramme wie die DAWs Ardour und Reaper oder Audioeditoren wie Audacity haben diese. Alltagsprogramme wie Firefox oder Chromium allerdings nicht. Wer zu Youtube und Co jammen möchte, muss sich eine Software-Brücke einrichten, oder diese mit Cadence einfach mitinstallieren.
Der große Vorteil: Mit JACK können alle Programme frei miteinander auf Software-Ebene miteinander verbunden werden. Audio und MIDI.
Ein weiterer Nachteil ergibt sich aus der Verwendung: JACK muss von Hand gestartet werden – oder automatisiert bei System- oder DAW-Start. Dazu muss JACK einmalig mit der zu verwendeten Hardware, also dem Audiointerface, konfiguriert werden. Das muss auch mit Windows und macOS gemacht werden, allerdings gibt es von den Herstellern für die Betriebssysteme offizielle Treiber und Support.
DAWs für Linux
Die meisten DAWs gibt es für Windows und macOS, das ist leider immer noch so. Aber das heißt nicht, dass Linux-DAWs schlecht sind, nur weil es wenige sind. Ich habe der Thematik sogar einen kompletten Artikel gewidmet. Schau doch mal rein.
Für hier muss eine Auflistung reichen:
- Ardour
- Bitwig Studio
- Cockos Reaper
- Tracktion Waveform (Pro und Free)
- Harrison Mixbus
- LMMS
- Rosegarden
- QTractor
- ZRythm
- Renoise
Du siehst: Es gibt Auswahl. MIt Reaper, Bitwig Studio und Waveform sogar DAWs, die ich aus dem professionellerem Sektor kennt. Ardour findet man unter Linux-Usern häufig – laut Entwickler Paul Davis fast 50:50 mit Windows, bei einem Bruchteil der User. Es ist eine gute und stabile DAW mit altbackener Optik, die ideologisch nah an der Linux-Philosophie liegt. Auch im Profisektor wird Ardour verwendet.
Effekt-Plugins für Linux
Bei den Effekt-Plugins sieht es ähnlich aus. Die allermeisten gibt es nicht für Linux, aber genug, dass man einerseits von einer Auswahl sprechen kann und außerdem, dass es für eigentlich jeden Fall ein passendes Plugin gibt.
Das vorherrschende Pluginformat unter Linux war lange LV2, das die ehrwürdigen LADSPA-Plugins ablöste, beides quelloffene Formate. Wird heute ein Plugin veröffentlicht und die Herstellerfirma oder Person dahinter meint es ernst, gibt es neben der LV2 auch eine LinuxVST-Version – oder VST3. Die laufen auch nativ unter Linux. Sie müssen nur explizit dafür kompiliert („berechnet“) werden.
Wenige kommerzielle Hersteller entwickeln direkt für Linux – darunter U-HE und Tracktion. Einige Plugins gibt es als Fan-Portierung. Windows-Plugins können über WineVST, Lin-VST oder Yabridge geladen werden und funktionieren in der Regel exzellent. Ich bin sehr froh, dass ich auf meine Klanghelm-Sammlung nicht verzichten muss.
Auf der Seite LinuxDAW kannst du dir eine (nicht komplette) Übersicht über verfügbare Software verschaffen.
Virtuelle Synthesizer für Linux
Gleiches Spiel bei den Synthesizern. Die Auswahl ist kleiner, dafür gibt es meiner Meinung nach nicht ganz so viel „Schrott“ oder „das immer wieder Gleiche in Grün“. Die wichtigen Sounds bekommst du dennoch problemlos für Linux – oder über WineVST und Co.
Eine Auswahl an nativen Synthesizern für Linux (ohne WINE):
- ZynFusion (ZynAddSubFX mit moderner Oberfläche)
- Tytel Helm
- Surge
- U-HE Diva
- Vital / Vitalium
- Tracktion f’Em
- Dexed (Yamaha DX 7)
- DiscoDSP OB-Xd (Oberheim OB-X)
- Nekobi
- TAL Noisemaker
- VCV Rack
Audio-Interfaces für Linux
Offiziell unterstützten nur sehr wenige Hersteller Linux mit Treibern. Das macht nichts, denn vor allem die kleinen Interfaces sind mittlerweile oft Class Compliant und laufen ohne Treiber. Außerdem gibt es vom ALSA-Team je nach Popularität des Interfaces passende Treiber – und mindestens immer ein Fallback, dass das Interface mit 44.100 Hz und 16 Bit funkioniert. Focusrite beispielsweise sagt, dass Linux nicht unterstützt wird. Mein Focusrite Scarlett 2i2 2nd Gen weiß aber Nichts davon und geht problemlos. Kann es nur empfehlen. (Nicht aber das 3rd Gen, das macht Probleme, sie Unfa.)
In meinem Test für die c’t sind die Roundtrip-Latenzen mit 6,4 ms sogar besser als unter Windows mit dem offiziellen ASIO-Treiber bei 7,8 bzw. 6,8 ms bei deaktiviertem Safe-Mode – gemessen mit Kernel 6.1 (Debian Sid) mit 48 KHz bei 24 Bit. Der Realtime-Kernel von Ubuntu Studio 22.10 hatte keine Verbesserungen bei der Latenz vs. Knackser-Thematik gebracht.
Sobald aber DSP-Geschichten wie ein virtueller Mixer, Routing oder Effekte dazu kommen, wird die Sache unangenehm mit Linux. Kein Hersteller bietet dafür Support. Für einzelne Interfaces gibt es aber Lösungen von Hobbyentwickler:innen, auch für größere Interfaces.
Tipp: Vor der Anschaffung des nächsten Audiointerface kurz das Internet befragen.
Echtzeit-Audio in Linux einrichten
Multimedia-Distributionen nehmen die Einstellungsarbeit ab. Linux ist ab Werk nicht bis gar nicht für Echtzeit-Audio geeignet, sondern für den normalen Desktop-Betrieb optimiert. Wer nur mischt, kommt vielleicht damit klar. Wenn es aber um Eingangslatenzen bei gleichzeitiger Wiedergabe geht, müssen noch ein paar Handgriffe gemacht werden.
Der Plan:
- User in Audio-Gruppe legen
- ggf. Audio-Gruppe anlegen
- Audio-Gruppe für Echtzeit optimieren
- Neustart
An die Tastaturen, fertig, los!
Am besten funktioniert es im Terminal. Vor allem Schritt 1 ist ohne Terminal nur schwer zu erledigen. Mit den folgenden, einfachen Befehlen bekommt es aber jede:r hin.
- Ist dein User-Account bereits in der Audio-Gruppe? Gib im Terminal dazu
groups
in der Befehlszeile ein. Erscheint im Anschluss „audio“ ist der Schritt schon erledigt. Wenn nicht gibsudo groupadd audio
zum Anlegen der Gruppe ein. Existiert sie schon, kommt eine Fehlermeldung. Sonst hat es geklappt. Füge nun mitsudo usermod -a -G audio NUTZERNAME
(Nutzername ist dein Anmeldename) deinen Account der audio-Gruppe hinzu. - Öffne nun die folgende Datei mit einem Texteditor. Der folgende Befehl ist für den Terminal:
sudo nano /etc/security/limits.d/audio.conf
(offnet den Editor „nano“ im Admin-Modus via „sudo“) und füge folgende Zeilen hinzu
@audio - memlock unlimited
@audio - rtprio 95
Anschließend mit STRG+O speichern und STRG+X schließen.
Nun einmal den Nutzer am System ab- und wieder anmelden – oder sicherer der Windows-Hack: Den Computer neustarten. Fertig.
Wenn du richtig tief einsteigen möchtest, kannst du noch mehr optimieren. Dafür empfehle ich diesen Leitfaden und/oder das Script rtcqs zum Überprüfen der Einstellungen. Entweder mit GUI oder im Terminal. Aber das ist für Fortgeschrittene und Profis.
Für Hobbyisten und kleine Audio-Aufgaben (z.B. Einzelspuren mit Guitarix auf Drums in Echtzeit aufnehmen) reichen aber schon die beiden Schritte hier für brauchbare Ergebnisse.
Audio- und MIDI-Recording: Der Anfang
Wer von Windows oder macOS kommt, muss sich ein anderes Prozedere angewöhnen. Ich habe es anfangs auch nicht gemocht und finde es immer noc nur bedingt schön. JACK ist super, der Weg bis dahin eigentlich unnötig. Aber verglichen mit den (praktischen und ideologischen) Nachteilen von Windows und macOS nehme ich die zwei Klicks mehr vor meinen Aufnahmen gern in Kauf.
Alles was mit Pro-Audio und Linux zu tun hat, läuft in der Regel über JACK. Wer nur in der DAW arbeitet oder nur mischt, der kann auch mit ALSA, Pulseaudio oder Pipewire als Audio-Server zuverlässig arbeiten – Pipewire empfehle ich aus eigener Erfahrung aktuell noch nicht.
Spezielle Routings, z.B. für besonderes Outboard-Equipment werden wahlweise als Templates bzw. Presets gespeichert. Beispielsweise MIDI-Controller wie Master-Keyboards oder PAD-Controller wie Push und Co., die immer wieder genutzt werden, gehen so einfacher an den Start gehen. Sonst müssen immer wieder die virtuellen Strippen gezogen werden. Audio- und MIDI-Geräte erscheinen übrigens in JACKs Routing-Programmen immer als eigene Instanz, die verkabelt werden kann; MIDI rot, Audio blau.
Ist JACK einmal eingerichtet und gestartet, ist es wie mit Windows und macOS. Einfach DAW starten , Spuren anlegen, Eingänge über die DAW oder JACK mit der korrekten Quelle verbinden, aufnehmen, produzieren und mischen. Und sich am nächsten Tag an den Kopf greifen, was man da eigentlich zusammengebaut hat…
Lohnt sich Linux als Audio-System?
Linux hat immer noch einige Starthürden, die es zu überwinden gilt. Wer von dem Konzept des Systems überzeugt ist und sich darin auskennt, hat diese in ein paar Minuten hinter sich gebracht. Linux ist ein System für mündige Nutzer:innen, oder die, die es noch werden wollen. Es ist frei von den Entscheidungen einzelner Großkonzerne – die auf der anderen Seite gegen Bezahlung und private Daten ein fertigeres System bereit stellen.
Am Ende entscheidest du. Freiheit, ein paar Minuten im Terminal und in der Regel keine Kosten – oder finanzielle Kosten, Verlust von Freiheit und eventuell Kontrolle über dein System. Audio Recording mit Linux ist auf jeden Fall möglich. Einmal eingerichtet auch problemlos.
Bildquelle Studio: Unsplash, Caught In Joy
Kudos für dieses Portal. Ich wünschte, das hätte es schon vor ein paar Jahren gegeben, als ich mir alles einzeln zusammensuchen musste. Weiter so! 🙂
Vielen Dank.
Das sollte für zögernde Umsteigwillige oder solche, die für Aufnahmen dann noch ein Windows/Mac-System rumstehen haben, einige wertvolle Informationen bieten.
Zum Scarlett Focusrite 2i2 3rd Gen kann ich noch sagen, dass es einwandfrei funktioniert und auch Unfa im verlinkten Video eigentlich nichts Gegenteiliges sagt. Das „Problem“, das die 3rd Gen Geräte machen, ist, dass sie zunächst mal als USB-Massenspeicher erkannt werden, auf dem die Windowstreiber und -software liegen. Eigentlich ja gar nicht so dumm, denn dann kann man einen mitgelieferten USB-Stick oder CD-Rom (naja, Laufwerke sind zunehmend selten, daher eher nicht) nicht verlieren und hat, solange man das Gerät hat, auch immer den Treiber etc. dabei.
Aber… unter Linux brauche ich das ja nicht, so dass es eben auch nicht dazu kommt, wie es vorgesehen wäre, dass man den Kram installiert und dadurch das 2i2 in den Audio-Interfacemodus gesetzt wird. Und so ist das 2i2 unter Linux halt zunächst nur ein Datenspeicher.
Das kann man dann wie Unfa beschrieben hat und auch in den Kommentaren noch ergänzt wurde, manuell umstellen. Danach funktioniert das Ding einfach wie ein 2nd Gen 2i2.
Ja, dieser Massenspeichermodus ist leider eine Hürde mehr – wer noch nie damit zu tun hatte, wird das als Fehler wahrnehmen und vermutlich nicht Focusrite, sondern Linux den „Fehler“ in die Schuhe schieben. Daher empfehle ich lieber das 2nd Gen an Neue (was Gebraucht preiswerter und ökologisch vermutlich sinnvoller ist).
Ja, klar, wenn man eins gebraucht bekommen kann, ist das sicherlich nicht schlecht, weil es ansonsten ja keine nennenswerten Unterschiede gibt.
Ich hab mir halt ein neues mitgenommen, weil ich ohnehin gerade bei Thomann war. Da fand ich es albern, irgendwo dann ein gebrauchtes zu bestellen, das dann auch wieder hätte geliefert werden müssen.
Ja, dann hatte ich halt auch das Problem mit dem Massenspeicher, das sich dann schnell dank Unfas Video lösen lies.